Spiritualität aus NARM-Sicht – Wenn Verbindung geschieht

Es gibt kaum ein anderes Thema, das so viele Versprechen, Systeme und Deutungen hervorgebracht hat wie die Spiritualität. Religiöse Lehren, Philosophien, Retreats, Meditationsschulen, energetische Praktiken – sie alle laden uns ein, einen Weg zu etwas Höherem zu finden. Manche geben klare Regeln, andere sprechen von Freiheit. Doch fast alle verknüpfen Spiritualität mit einer Idee davon, wer wir sein sollten, um dem Göttlichen näher zu kommen.

Diese Wege können Halt geben. Sie schenken Richtung, Sinn, Orientierung in einer oft chaotischen Welt. Doch sie können uns auch von uns selbst entfernen – dann, wenn wir beginnen, ihre Regeln für Wahrheit zu halten, statt sie als Einladung zu erleben. Spiritualität wird dann nicht mehr erfahren, sondern gedacht. Wir folgen Bildern, die uns zu jemandem machen, der wir nicht sind, und verlieren das, was Spiritualität ursprünglich suchte: Beziehung.

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Wenn Glaube zum Schutz wird – und uns von Erfahrung trennt

Viele Menschen, die sich für innere Arbeit öffnen, tragen eine spirituelle oder religiöse Geschichte in sich. Sie erzählen von der Hoffnung, durch den Glauben Frieden zu finden – und von der Enttäuschung, dass dieser Friede ausbleibt. Oft lebt der Glaube im Denken, aber nicht im Erleben. Er wurde übernommen, weitergegeben – manchmal als Verpflichtung, manchmal als Zuflucht.

Aus NARM-Sicht kann auch Religion zu einer Überlebensstrategie werden: eine Art spirituelles Selbstbild, das uns schützt, wenn direkter Kontakt zu schmerzhaft war. Wir identifizieren uns dann mit der Rolle der „Gläubigen“, der „Erleuchteten“, der „Reinen“. Das ist kein Irrtum, sondern ein intelligenter Versuch, sicher zu bleiben.

„Ich weiß, ich sollte vergeben. Das steht so in der Bibel.“

Während sie das sagt, wird die Stimme flacher, der Blick leer. Als sie eingeladen wird zu spüren, wie sich dieses „Sollte“ im Körper anfühlt, kommen Tränen: „Ich will gar nicht vergeben. Ich bin so müde, immer gut zu sein.“

In diesem Moment geschieht etwas. Zum ersten Mal entsteht Kontakt – nicht zu einem Ideal, sondern zu ihr selbst. Und genau dort, wo sie „nicht spirituell genug“ sein wollte, wird Spiritualität fühlbar. Sie geschieht – leise, ehrlich, ohne Absicht.

„Ich will Demut üben.“

Ein anderer Klient meditiert täglich, besucht Schweigeretreats, kämpft aber mit dem Gefühl, „nicht weit genug“ zu sein. Unter der angestrebten Demut liegt Scham – die Angst, unzulänglich zu sein. Als er sich erlaubt, diese Scham nicht zu überwinden, sondern zu spüren, atmet er, lächelt, sagt: „Das fühlt sich ehrlich an. Irgendwie echt.“ Das ist keine Abkehr von Spiritualität – es ist Spiritualität.

Identifikation – das stille Versprechen, jemand sein zu müssen

Scham ist einer der Hauptgründe, warum wir Spiritualität verlieren, obwohl wir sie suchen. Sie zieht uns aus Verbindung, lässt uns glauben, wir müssten „anders“ sein, um in Ordnung zu sein. In vielen spirituellen Kontexten wird dieses Muster unbewusst verstärkt: „Wenn du rein, liebevoll, diszipliniert bist, wirst du Nähe zu Gott erfahren.“

Das klingt heilig – doch oft beginnt hier die Selbstverneinung. Wir verwechseln Zugehörigkeit mit Anpassung, Erfahrung mit Ideal. Wir lernen, wie wir sein sollten, aber nicht, wie wir sind, wenn wir fühlen.

„Ich will nur Gottes Willen tun.“

Der Körper ist still, die Schultern nach innen gezogen. Als er sich erlaubt zu spüren, dass er gar nicht weiß, was er will, taucht ein Satz auf, fast flüsternd: „Vielleicht darf Gottes Wille auch durch mein eigenes Herz spürbar sein.“ Da ist plötzlich Bewegung, Wärme, Leben. Das Ich und das Göttliche müssen sich nicht länger ausschließen – sie beginnen, sich zu begegnen.

Von System zu Beziehung

Durch die NARM-Linse geht es nicht darum, Konzepte zu verwerfen, sondern sie in Beziehung zu bringen – zu Körper, Gefühl, Erfahrung. Nicht erfahrene Religion lebt im Kopf; gelebte Spiritualität im Atem, im Kontakt, im Dazwischen.

Das Herz – verstanden als Ort innerer und äußerer Begegnung – ist keine Metapher für Kitsch, sondern eine Wahrnehmungsebene. Wenn wir uns dort wieder fühlen, entstehen Qualitäten, die wir als spirituell erkennen: Stille, Mitgefühl, Staunen, Zugehörigkeit. Doch das sind keine Ziele – sie geschehen, wenn Verteidigungen weicher werden.

Spiritualität ist dann keine Bewegung nach oben, sondern nach innen und zwischen uns. Kein Erreichen, sondern ein Erlauben.

Scham als Schwelle

Scham ist keine Störung, sondern eine Schwelle. Sie schützt unsere Verletzlichkeit. Wenn wir lernen, sie nicht zu bekämpfen, sondern mit ihr in Kontakt zu bleiben, wandelt sie sich – von Trennung zu Verbindung. Hinter der Scham liegt oft Trauer, und hinter der Trauer: Weichheit, Lebendigkeit, Würde.

Genau dort, wo wir uns am liebsten verstecken würden, beginnt das, was viele als Heiligkeit bezeichnen – nicht im Überstieg, sondern im Dasein.

Wenn Spiritualität geschieht

In der therapeutischen Arbeit gibt es Momente, die still werden. Die Sprache verliert Bedeutung, der Atem vertieft sich, etwas öffnet sich. Niemand „macht“ das. Es geschieht, wenn Kontrolle nachlässt und Beziehung entsteht – im Blick, im Atem, im Gefühl, dass nichts bewiesen werden muss.

Vielleicht ist das der eigentliche Kern von Spiritualität: nicht eine Idee vom Höheren, sondern das Erleben von Ganzheit, wenn wir nichts mehr trennen müssen. Dann braucht es keine Religion, um Verbindung zu erfahren – und doch berühren solche Momente genau das, wovon Religionen seit Jahrtausenden sprechen.

Eine Einladung

Vielleicht beginnt Spiritualität dort, wo wir aufhören, spirituell sein zu wollen. Wo wir bereit sind, uns nicht über Reinheit oder Wissen zu definieren, sondern über die Art, wie wir in Beziehung treten – mit uns, mit anderen, mit dem Leben.

Wenn wir uns nicht länger von Scham lenken lassen, sondern uns erlauben, fühlend dazubleiben, entsteht etwas, das uns still werden lässt. Etwas, das wir nicht besitzen, sondern das uns bewegt. Etwas, das sich nicht lehren lässt – nur erfahren. Vielleicht ist genau das Spiritualität.

Wenn du spürst, dass dich dieses Thema berührt – vielleicht, weil etwas in dir nach echter Verbindung sucht –,
lade ich dich ein, mit mir in Kontakt zu kommen. Zu meiner Kontaktseite geht es hier weiter unter.

In einem geschützten, achtsamen Raum können wir gemeinsam erkunden,
was es für dich bedeutet, dich selbst wieder zu fühlen und Beziehung lebendig werden zu lassen.

Rafael Prentki – Heilpraktiker Psychotherapie – NARM Practitioner

Dieser Text versteht NARM nicht als Anti-Spiritualität, sondern als Einladung, Identifikation und Scham zu wandlen – damit Erfahrung wieder geschehen kann.