Trauer gehört zu unserem Leben. Sie darf in Wellen kommen und gehen – alles, was sich zeigt, hat seinen Platz.
Während du das liest: Halte einen Moment inne und setze dir eine kleine Absicht: Was wünschst du dir jetzt – in diesem Augenblick – für dich selbst im Kontakt mit deiner Trauer?
Einführung
Verlust gehört zu unserem Leben. Früher oder später begegnet er uns allen. Trauer ist kein Ausnahmezustand, sondern eine menschliche Erfahrung, die uns tief berühren und verändern kann.
Manchmal kommt Verlust leise – fast unmerklich –, wenn eine Lebensphase zu Ende geht oder wir uns von einer vertrauten Umgebung verabschieden. Manchmal trifft er uns mit voller Wucht, wenn ein geliebter Mensch stirbt oder eine Beziehung zerbricht.
Es gibt kein richtiges Maß an Trauer, keinen Zeitplan, nach dem wir „durch“ sein sollten. Alles, was auftaucht, hat seinen Platz. Trauer darf in Wellen kommen und gehen.
Trauer als Spiegel alter Erfahrungen
Wenn wir heute einen Verlust erleben, berührt er oft auch ältere Schichten in uns. Unter dem aktuellen Schmerz tauchen Erinnerungen auf: Momente, in denen wir uns nicht gesehen, nicht gehalten oder verlassen gefühlt haben.
Dann können innere Stimmen laut werden:
- „Ich darf meine Gefühle nicht zeigen.“
- „Ich muss stark sein, sonst verliere ich andere.“
- „Ich darf niemandem zur Last fallen.“
- „So wie ich bin, reicht es nicht.“
Diese Stimmen sind keine Wahrheit. Sie erzählen davon, wie wir uns einmal schützen mussten, um dazu zu gehören oder nicht verlassen zu werden. Damals waren sie notwendig. Heute aber engen sie uns oft ein und verhindern, dass wir uns verbunden fühlen.
Das innere Hin-und-Her
Vielleicht kennst du dieses Hin-und-Her: Ein Teil von dir möchte fühlen, was geschehen ist, ein anderer zieht sich zurück, hält dicht oder will alles im Griff behalten.
Beides darf da sein. Wir müssen nichts erzwingen, nichts unterdrücken. Wenn wir anerkennen, dass verschiedene Bewegungen gleichzeitig in uns wirken, entsteht ein erster Raum. Manchmal reicht schon dieses Anerkennen, um ein wenig freier zu atmen.
Typische Wege, mit Verlust in Kontakt zu sein
Viele Menschen greifen in der Trauer auf vertraute Strategien zurück:
- sich zurückziehen und kaum noch etwas spüren,
- stark sein und alles unter Kontrolle halten,
- Ablenkung suchen, um das Schwere zu vermeiden,
- Nähe suchen, um den Schmerz erträglicher zu machen.
Diese Reaktionen sind nicht falsch. Sie zeigen, wie unser Inneres gelernt hat, mit Überforderung umzugehen. Heute dürfen wir bewusst prüfen: Brauche ich diese alten Strategien noch – oder darf etwas Neues entstehen?
Grundfragen, die berührt sein können
In der Tiefe der Trauer tauchen oft existenzielle Fragen auf. Sie sind wie Echos unserer frühen Erfahrungen:
- Darf ich dazugehören? – oder habe ich Angst, außen vor zu bleiben?
- Ist es in Ordnung, dass ich etwas brauche? – oder fürchte ich, zu viel oder zu wenig zu sein?
- Kann ich mich verlassen, ohne enttäuscht zu werden? – oder erwarte ich, dass Vertrauen zusammenbricht?
- Darf ich meinen eigenen Weg gehen? – oder verliere ich dann die Nähe zu anderen?
- Wie kann ich Nähe leben, ohne mich selbst aufzugeben?
Spüre kurz nach: Welche dieser Fragen berührt dich gerade am meisten?
Ein kleiner Moment für dich
Es braucht nicht immer große Schritte. Manchmal reicht ein kurzer Augenblick, um im Kontakt mit dir selbst zu sein:
- Was wünsche ich mir jetzt – in diesem Moment – für mich?
- Wo spüre ich das in meinem Körper?
- Was könnte eine kleine, freundliche Geste mir selbst gegenüber sein?
Mehr braucht es nicht. Schon dieser kleine Moment von Zuwendung kann etwas verändern.
Verlust, Beziehung und neue Verbindung
Unterstützung anzunehmen bedeutet nicht, schwach zu sein. Es ist zutiefst menschlich. Manchmal geschieht Heilung gerade darin, dass wir den Schmerz nicht alleine tragen müssen – sondern im Kontakt mit einem anderen Menschen gehalten sind.
Verlust kann uns zutiefst erschüttern. Und er kann – mit der Zeit – auch zu einem Raum werden, in dem Selbstkontakt, Mitgefühl und innere Stärke wachsen.
Trauer zu erleben bedeutet nicht, stark sein zu müssen. Trauer und Stärke schließen sich nicht aus – sie können einander stützen.
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Rafael Prentki – Heilpraktiker für Psychotherapie